The Dry Dog Inn

Soziale Dynamiken am Rollenspieltisch

#osr #d&d #Nordmark Kampagne

Die meisten Spiele verlaufen harmonisch. Jedoch gab es in den letzten elf Monaten immer wieder Konfliktmomente. Nicht immer ist klar auszumachen, ob es sich um einen Konflikt zwischen Charakteren, Spielern, zwischen Charakteren und Spielern, oder mit dem Spielleiter handelt. Und nicht immer ist klar ob und auf welche Weise der Konflikt zu lösen ist.

Von Anfang an war klar, dass es kein “Charakter gegen Charakter” geben soll. Beziehungsweise nur bei voller Spielerzustimmung. Möchte ein Charakter dem anderen Schaden, so sollen die Spieler untereinander ausmachen, was zu tun ist und nur bei Einigkeit, den den Konflikt ausspielen. Doch ist manchmal unklar, ab wann man von “Charakter gegen Charakter” sprechen kann, was nur Ausspielen eines “Charakters mit Charakter” ist, oder ab wann jenes Ausspielen eine Grenze überschreitet.

Ein Konflikt entsteht

Es gab mal die Situation in der ein Spieler “Malret”, ohne das Wissen anderer Spieler, sich entschied das sein Charakter “Dracula” eine mächtige Fraktion “die Goblins” mit Waffen unterstützt. Eine Entscheidung, die alle anderen Spielercharaktere der Kampagne stark gefährdete. Ein Spielerkonflikt ist entstanden, und ich als Spielleiter fühlte mich machtlos. Einerseits strebe ich an, den Spielern möglichst viel Handlungsfreiheit zu ermöglichen, anderseits möchte ich, dass die Spieler sich vertragen und ihr Spielspaß nicht durch Einzelentscheidungen in Gefahr gerät.

War der Spieler, der die Allgemeinheit durch das Handeln seines Charakters gefährdete, im Unrecht? Oder waren es die anderen Spieler, die sich über die Aktionen des Spielers aufregten, die sich unverhältnismäßig verhielten? Hätte ich als Spielleiter einschreiten müssen? Und wenn ja, dann wann und wie?

Spielstile

Alexander Macris beschreibt in seinem Buch “Arbiter of Worlds” drei soziale Dynamiken, beziehungsweise Spielstile, die jeweils unterschiedliche implizierte Regeln besitzen, und anhand derer man soziale Konflikte beurteilen und gegebenenfalls schlichten kann.

Der kollektive Spielstil kann man auch mit “Alle für Einen, Einer für alle” bezeichnen. Die Spieler ordnen ihr individuelles Spiel dem gemeinsamen Kampagnenziel unter.
(1.) Jeder Spieler erstellt sich Charaktere, die gut in das Kollektiv passen und sich mit den anderen Charakter gut verstehen.
(2.) Jeder Spieler hat das Recht, an der Kampagne Freude zu haben, einfach weil er ein Mitspieler ist.*
(3.) Das Kollektiv als Ganzes trifft auf demokratische Weise wichtige Kampagnenentscheidungen, an die sich alle Spieler halten werden.

* Damit ist gemeint, dass ein Spieler erwarten kann, dass es seinem Charakter in der Gruppe gut ergeht, und andere Charaktere von anderen Spielern sich bemühen ein harmonisches und freundliches Miteinander zu gestalten.

Der kompetitiv-kollektive Spielstil kann auch mit “wir sitzen alle im selben Boot, müssen es aber nicht mögen” beschrieben werden.
(1.) Kein Spieler erstellt Charaktere, die nicht in das Kollektiv passen, allerdings müssen die Charaktere nicht befreundet sein.
(2.) Kein Spieler hat ein Recht darauf, an der Kampagne Freude zu haben, außer aufgrund seines Charakters.**
(3.) Das Kollektiv als Ganzes trifft auf demokratische Weise wichtige Kampagnenentscheidungen, an die sich alle Spieler halten werden.

** Damit ist gemeint, dass ein Spieler erwarten kann, dass sein Charakter in der Gruppe aufgenommen wird, aber, nicht dass andere Charaktere von anderen Spielern sich bemühen ein harmonisches und freundliches Miteinander zu gestalten. Ob Charaktere sich im Kollektiv wohlfühlen, ist abhängig vom jeweiligen Charakter.

Der individualistische Spielstil kann auch mit “jeder für sich” oder “alle gegen alle” beschrieben werden.
(1.) Jeder Spieler erstellt sich frei seine Charaktere und trifft seine eigenen Entscheidungen und akzeptiert die Konsequenzen.
(2.) Kein Spieler wird außerhalb des Spiels auf einen anderen Spieler wegen Handlungen von Charakteren wütend.
(3.) Wichtige Kampagnenentscheidungen werden ausschließlich auf Grundlage dessen getroffen, was die Charaktere im Spiel entscheiden.

Welcher Stil gespielt wird, entwickelt sich manchmal natürlich durch das wiederholte Spielen mit den gleichen Menschen, durch die Natur der Kampagne oder durch ein Regelwerk. Gruppen können sich auch im Voraus auf einen Stil einigen.

Meistens treten soziale Konflikte dann auf, wenn ein Teil der Gruppe nicht mit dem Ganzen übereinstimmt.

Drei Konfliktlösungen

Betrachten wir nun den oben geschilderten Konflikt dreimal — aus jeweils dem Blickwinkel eines Spielstils.

Gehen wir von einem gewünschten individualistischen Spielstil aus, so hat Malret — als sein Charakter Dracula die Waffen an die Goblins lieferte — nichts Falsches gemacht. Die anderen Spieler verhalten sich unverhältnismäßig, wenn sie außerhalb des Spiels wütend auf Malret werden. Ich als Spielleitung kann mich mit den Betroffenen zusammensetzen und neutral schlichten.
Der Charakter Dracula hat in der Spielwelt eine gefährliche Entscheidung getroffen und könnte jetzt von den anderen Charakteren zu Rechenschaft gezogen werden.

Bei einem kompetitiv-kollektiven Spielstil hätte Malret durch Draculas Handeln eventuell die gesamte Kampagne in Gefahr gebracht, und somit gegen der implizierten Regel, dass das Kollektiv als Ganzes trifft auf demokratische Weise wichtige Kampagnenentscheidungen, verstoßen.
Die Reaktion der anderen Spieler ist verständlich, und eine Lösung wäre abzustimmen, zurückspulen und auszuspielen, wie die anderen Charaktere Dracula festhalten, fesseln und knebeln, oder ihn seine Finanzen nehmen.

In einem kollektiven Spielstil hätte Malret zudem ein Charakter erstellt, der nicht gut in das Kollektiv passt, was zu berichtigen wäre. Gibt ein Zurückspulen, so kann zum Beispiel ausgespielt werden, wie Dracula von seinem Plan erzählt und sie als Gruppe sich dazu entschließen die Goblins nicht mit Waffen zu beliefern.

In jeder dieser Situationen hilft es mir als Spielleiter, wenn mit — bestenfalls allen — bewusst ist, welchen Spielstil wir anstreben. Schlichten und Urteilen wird erleichtert, wenn es ein konsistentes Verständnis für die implizierten Regeln der Spielstile — und somit dem gewünschten “Miteinander” — gibt.

Welchen Spielstil favorisiere ich?

Für die Megaduneon Kampagne favorisiere ich den kollektiven Spielstil.

Die Megadungeon Kampagne soll eine Möglichkeit sein, dass sich Menschen kennenlernen, die ähnlichen Interessen haben, und ein Katalysator sein, dass sich neue Spielgruppen bilden.

Neue Spieler fühlen sich meiner Erfahrung nach in harmonischen Gruppen schneller willkommen und sicher.

Für Gruppen, deren Fokus nicht das Zusammenbringen von Menschen ist, kann ich jedem Spielstil etwas abgewinnen.

Besonders würde mich der individualistische Spielstil für eine längere Kampagne mit erfahrenen Spielern, die sich so gut verstehen, reizen. Gut ausgespielte Charaktere mit eigenen Motiven und größtmöglicher Handlungsfreiheit — wie da wohl das Domänen-Spiel aussehen würde?

Mich würde interessieren, was Eure Gedanken dazu sind, welchen Spielstil spielt ihr persönlich am liebsten und habt ihr ein anderer Blickwinkel auf dieses Thema?
Schreibt mir gerne über Signal oder E-Mail: rpg@fgerling.de